Sonans - Haubenstock-Ramati, Roman

Titel

Sonans

Komposition

Haubenstock-Ramati, Roman

Besetzung

Vokalistenensemble (Stimmenanzahl beliebig)

Dauer

sehr flexibel, ca. 10-30 Minuten (oder auch viel länger)

Schwierigkeitsgrad

3 mittel

Schlagwörter

Aleatorik, erweiterte Spieltechniken/Vokaltechniken, graphische Notation, Improvisation, Klassenmusizieren/heterogene Gruppen, Kompositionswerkstatt, offene Form

KOMMENTAR

Kurzbeschreibung

„Sonans“ von Roman Haubenstock-Ramati entstammt einer ganzen Reihe graphisch notierter Werke des Komponisten, die Anfang der 1970er-Jahre entstanden sind. Das Werk atmet den Geist der Befreiung von strengsten seriellen Notationen und Strukturen, gibt den InterpretInnen ein hohes Maß an Freiheit in der Gestaltung und Improvisation und fordert gleichzeitig ein ebenso hohes Maß an Verantwortung in der Werktreue, wobei der Begriff individuell neu ausgelegt werden muss.

Notation

Graphische Notation. Das Werk besteht lediglich aus einer komplexen Grafik und ist mit keinerlei Begleittext oder Anleitung versehen. Diese Grafik versammelt verschiedenste Elemente: musikalische Zeichen, Textbausteine, Linien und Formverläufe, Pfeile, Punkte und weitere geometrische Elemente.

Anforderungen

  • Grundsätzlich sind für die VokalistInnen keine speziellen Anforderungen erforderlich.
  • Wichtig ist eine große Offenheit gegenüber einer sehr ungewöhnlichen Notation.
  • Die intellektuelle Fähigkeit, ein abstraktes „Gemälde“ erfassen bzw. „lesen“ zu können, ist sicherlich hilfreich.
  • Wichtig ist auch, seine eigene Fantasie ausgiebig zu nutzen, um grafische Elemente in musikalische bzw. stimmliche Ereignisse umwandeln zu können.
  • Oft ist anfangs eine gewisse Scheu und Schüchternheit bei ungewohnten vokalen Äußerungen festzustellen, die aber im Laufe des Probenprozesses überwunden werden können.

Didaktische Hinweise und Empfehlungen

  • „Sonans“ bietet unendlich viele Möglichkeiten der Interpretation. Allein die Diskussion über die Frage, wo das Stück beginnt und wo es aufhört, kann schon ganze Probenabende füllen.
  • Die grundlegende Frage, die sich stellt und der nachzugehen sich sehr lohnt: Was macht dieses Gemälde, diese Grafik zu einem Musikstück, zu einer Partitur? Wo finde ich Elemente, die ich aus traditionell notierten Musikstücken kenne? Gibt es womöglich einen Formverlauf oder musikalische Abschnitte? Wie machen wir aus diesem Gebilde ein schönes und sinnvolles Stück Musik?
  • Die Frage kann zu grundsätzlichen Überlegungen darüber führen, was denn ein gutes Musikstück eigentlich ausmacht: Braucht es dafür einen Spannungsverlauf, Gegensätze, dynamische Brüche, unterschiedliche Tempozonen? Kann es unterschiedlich besetzte Teile geben oder sollen immer alle gemeinsam singen? Aus dieser Diskussion kann gemeinsam ein spezifischer Verlauf des Stückes entworfen werden.
  • Es empfiehlt sich, die Grafik zu Beginn in möglichst viele einzelne Details, Elemente, Abschnitte auseinanderzunehmen (z.B. der Buchstabenkreis links unten, die Linienverläufe im linken Bereich, die große Textpassage im Zentrum, das „Atomium“ unten in der Mitte, das Rhythmusquadrat rechts, der Buchstabenballon rechts unten usw.).
  • Mit solch eingegrenzten Elementen kann man erste Stimmimprovisationen versuchen. Wichtig ist dabei, hinterher zu benennen, was in der Improvisation gut funktioniert, was schön geklungen hat, aber auch was nicht so gut funktioniert und weniger gut geklungen hat. Bei einem zweiten Durchgang desselben Musters kann man dann die ersten Erkenntnisse beachten und sich kleine Aufgaben stellen wie: Es dürfen immer nur zwei, drei, vier, … gleichzeitig singen.
  • Daher ist es unabdingbar, dass man gut aufeinander hört und auch sensibel dafür wird, wann der oder die Andere gerade beginnen oder aufhören will.
  • Zudem kann man vorab eine Zeitspanne ausmachen, wie lange die Improvisation dauern soll. Ebenso ist es möglich, einen dynamischen Verlauf zu vereinbaren, solistische Passagen einzubauen (wenn jemand besonders mutig und einfallsreich ist) oder auch kleine kammermusikalische Elemente zu kreieren.
  • Wichtig ist in diesen Übungen, dass die Scheu überwunden wird, eine gemeinsam agierende Gruppe entsteht und die Sensibilität des/der Einzelnen für die Anderen und die Gruppe erwacht.
  • Im Folgenden kann überlegt werden, wie die einzelnen Teile miteinander verbunden werden können (welche „Wege“ von einem Teil zum nächsten zeigt mir die Grafik?) oder wie vielleicht auch einzelne Bauteile übereinandergelegt werden können (z.B. kann das Rhythmusquadrat mit dem Buchstabenballon „gefüllt“ werden).
  • Schließlich sollte aus diesen Überlegungen und Übungen ein Gesamtverlauf gebaut werden: Eine Zeitspanne wird vereinbart, Formteile aneinandergereiht, vielleicht eine Person benannt, die anzeigt, wann der Übergang zum nächsten Teil stattfindet.
  • Man kann auch verschiedene Personen mit Aufgaben betrauen (z.B. eine für Dynamik, eine für Zeitverläufe, wieder eine andere zeigt Soli an usw.) Wichtig ist, dass man die Aufgaben gut eingrenzt und so alle VokalistInnen immer auf wenige Dinge gleichzeitig konzentriert sein müssen.
  • Speziell bei Textpassagen ist es wichtig, dass man sich auf sehr wenig Text konzentriert: Bei einer Textimprovisation sollte beispielsweise jede/r nur eine einzige Zelle oder sogar nur ein einziges Wort zur Verfügung haben.
  • Überlegungen, was laut und leise (Text groß: laut; Text klein: leise), was schnell und langsam sein könnte, sind wichtig.
  • Grundsätzlich ist eine solche systematische Vorgehensweise sehr hilfreich und führt am ehesten zu einem musikalisch befriedigenden Ergebnis. Man kann aber natürlich auch dem befreienden Geist der Siebziger nachspüren und einfach eine Zeitspanne ausmachen und loslegen, was sich jedoch eher für erfahrene ImprovisatorInnen empfiehlt.
  • Das Allerwichtigste für die Erarbeitung und Interpretation ist aber, dass man immer die Verantwortung für das Werk ernst nimmt und sich von Anfang an auf den Minimalkonsens einigt, nichts zu machen, zu singen und von sich zu geben, was nicht konkret in der „Partitur“ erscheint.

Bezugsquelle

Erschienen im Ariadne Verlag, Wien (www.ariadne-verlag.com).